Die Steinfliegen (Plecoptera) sind nicht etwa besondere Fliegen, sondern bilden eine eigene Insektenordnung, die in Mitteleuropa etwa 130 Arten umfasst. Wie die Libellen und Eintagsfliegen sind sie erdgeschichtlich sehr alt. Ihre Vorfahren lebten bereits vor 250 Millionen Jahren, also zur Zeit der ersten Saurier. Die heutigen Steinfliegen gleichen den Urahnen noch sehr stark.
Die Steinfliegen durchlaufen ihre Jugendentwicklung im Wasser, und zwar mit wenigen Ausnahmen in sauerstoffreichen, sauberen Fliessgewässern. Die Larvenzeit schliesst mit dem Nymphenstadium ab, aus dem sich direkt das Fluginsekt entwickelt. Ein Puppenstadium fehlt also wie bei den Eintagsfliegen. Es sind darum hemimetabole Insekten.
Bau und Lebensweise der Larven
Oberflächlich betrachtet gleichen die Steinfliegenlarven den Eintagsfliegenlarven. Wir achten auf folgende Unterschiede:
Merkmale | Steinfliegen | Eintagsfliegen |
Füsse | dreigliedrig mit je 2 Klauen | eingliedrig mit je 1 Klaue |
Anzahl Schwanzfäden | immer 2 | 3, nur wenige Arten mit 2 (z.B. Epeorus) |
Anpassungen der Steinfliegenlarven an ihren Lebensraum
Fast alle Steinfliegenlarven können nur in kühltemperierten, stark bewegten Fliessgewässern leben, wo sie praktisch allein mit der Hautatmung auskommen. Sie gelten als Hauptleitformen für unbelastete Gewässer.
Sie entgehen der Wasserströmung durch angepasstes Verhalten, indem sie strömungsgeschützte Räume aufsuchen. Die grössten Arten besitzen einen etwas abgeflachten Körper und auch deutlich abgeflachte Beine, die nach hinten einen breiten Haarsaum aufweisen. So gelingt es ihnen, wenn nötig, auch grösseren Strömungsgeschwindigkeiten zu trotzen, zumal sie kräftige Beine und an jeder Fussspitze zwei starke Klauen besitzen, mit denen sie sich an der Steinoberfläche festhaken können.
Fadentaster und Borstentaster
Nach dem Bau der Unterkiefer- und Unterlippentaster teilt man die Steinfliegen in zwei Unterordnungen ein:
Merkmale | Fadentaster | Borstentaster |
Grösse | kleine Arten, ab 4 mm Bsp. Nemoura | mittlere Arten: z.B. Chloroperla und grosse Arten mit den eindrucksvollsten Insektenlarven unserer Bäche, bis max. 30 mm z.B. Perlodes, Dinocras, Perla |
Larvenform | rund mit enganliegenden oder seitlichen, abstehenden Flügelscheiden | Körper und Beine oft abgeflacht |
Larvenfarbe | gelb-schmutzigbraun ohne deutliche Zeichnung | gelb-tiefbraun, oft lebhafte, artspezifische Zeichnung |
Larvennahrung | Grün- und Kieselalgen; weiche, angefaulte Pflanzenreste | alle schwächern Lebewesen wie Rädertiere, Würmer, Insektenlarven (gefrässigste Räuber unter den Wirbellosen) |
Nahrung der Imagines | bewältigen trotz reduzierter Mundwerkzeuge noch feste Nahrung | trinken nur noch Wasser |
Larvenzeitdauer | 1 Jahr | mittelgrosse Arten: 1,5 Jahregrosse Arten: 2-3 Jahre |
Beispiele von Larven | Nemoura marginata | Chloroperla sp. Dinocras sp. |
Sinnesorgane der Larven
Das Sehvermögen spielt im Larvenleben nur eine untergeordnete Rolle. Viele Aufenthaltsorte liegen ohnehin meist im Dunkeln. Die kräftigen Perlidenlarven mit den grossen Netzaugen erkennen ihre Opfer in einer Entfernung von 3-4 cm. Für das Auffinden der Beutetiere sind die zwei langen, schlanken und sehr beweglichen Fühler von grösserer Bedeutung. Sie tragen zahlreiche Tastborsten und Tasthaare, sowie merkwürdige, als Geschmacks- und Geruchsorgane aufzufassende Kölbchen. Auch die zwei langen, steifen Schwanzborsten sind mit Sinnesorganen ausgerüstet.
Atmung der Larven
Die Larven besitzen ein vollkommen geschlossenes Tracheensystem. Die kleineren Arten kommen allein mit der Hautatmung aus, die grossen entwickeln mit einer der letzten Häutungen zusätzlich noch fadenförmige Tracheenkiemen, die aber in der Regel keine grosse Oberfläche aufweisen. Sie sind einfach oder verzweigt und sitzen, zu Büscheln vereinigt, je nach Gattung an verschiedenen Körperstellen, am Hals, an den Seitenwänden der Brustabschnitte, an den Hüften oder zwischen Schwanzfäden und After. Steinfliegenlarven können ihre Tracheenkiemen nicht aktiv bewegen wie viele Eintagsfliegenlarven.
Die geringe Entwicklung der äusseren Atmungsorgane hängt damit zusammen, dass die Tiere vorzugsweise in ständig fliessenden, oft stark schäumenden stets sauerstoffreichen Gewässern leben. Im Sommer vollführen sie gerne eigenartige rhythmische Bewegungen mit dem Körper, wodurch dieser ständig von frischem Wasser umspült wird. Die Anzahl dieser Schwingungen ist von der Temperatur abhängig; bei gewissen Arten sind 100 Schwingungen pro Minute feststellbar. Die Hautatmung wird, vor allem bei jungen Tieren, durch die Darmatmung unterstützt, indem der Enddarm Wasser ein- und auspumpt.
Nahrung der Larven
Wie oben erwähnt, fressen die kleineren Arten Grün- und Kieselalgen und Detritus. Die grossen Arten wie die Perliden sind Raubtiere mit grossem Kopf, spitz gezackten Mandibeln und dolchförmigen Maxillarlappen und fressen pro Tag 3-4 mittelgrosse Eintags- oder Köcherfliegenlarven. Besonders gern werden die zarthäutigen Baëtis-Arten angenommen. Eine ausgewachsene Perla-Larve kann uns übrigens empfindlich in den Finger beissen, wenn wir sie ungeschickt anfassen. Die Räuber werfen die unverdaulichen Chitinreste ihrer Beutetiere durch den Mund aus. Dank dem stets wohl entwickelten Fettkörper können die Tiere gegebenenfalls monatelang ohne Nahrungsaufnahme durchhalten.
Die Steinfliegenlarven kennen keinen Winterschlaf, solange ein Gewässer nicht vollständig zufriert. Sie fressen während des ganzen Jahres und wachsen und häuten sich kontinuierlich. Die grossen Perliden häuten sich während der 2-3 Jahre dauernden Larvenzeit total 33 mal; 18 Häutungen fallen in das erste Jahr.
Entwicklungsstadien von Perlodes intrigata
Verwandlung
Mit der letzten Häutung gehen die Larven in das Nymphenstadium über, das durch grössere Flügelscheiden gekennzeichnet ist. Aus den oft munteren, behenden Larven mit ihrem räuberischen Wesen werden nun träge Tiere, die nur noch wenig fressen.
Für die Verwandlung, die für viele Arten im Frühjahr stattfindet, klettern die Nymphen auf Steine oder ans Ufer. Gelegentlich vereinigen sich viele Tiere zu Schlüpfgesellschaften, so dass man später an bevorzugten Stellen massenweise abgestreifte Nymphenhüllen finden kann. Wenn die Nymphen für die Verwandlung im fliessenden Wasser nirgendwo Halt finden, stülpen sie die Chitinverkleidung des Vordermagens aus und kleben sie als Ankertau an einen Stein.
Die meisten Steinfliegen verwandeln sich in der Nacht. Der Vorgang dauert nur wenige Minuten. Die Haut platzt auf der Rückenseite der Brustabschnitte, dann werden nach und nach Brust, Kopf und Hinterleib aus der Larvenhaut gezogen.
Bau und Lebensweise der Imagines
Die Imagines gleichen sehr stark ihren Larven, wobei allerdings die Schwanzborsten bei bestimmten Arten nach der Verwandlung wesentlich kürzer sind. Sie haben aber verkümmerte Mundwerkzeuge, die mit Ausnahme der Mandibeln der Fadentaster auch funktionsunfähig sind. So können die grossen Steinfliegenlarven nur noch Wasser zu sich nehmen. Sie zehren während ihres meist 2-4 wöchigen Lebens von den Fettvorräten, die sie als Larven in ihrem Körper gespeichert haben.
Die zwei etwa gleich grossen Flügelpaare liegen der Länge nach gefaltet am Hinterleib. Die Steinfliegen kriechen und laufen aber lieber, als dass sie fliegen, selbst wenn sie fliehen müssen. Der unbeholfene, schwerfällige, aber lautlose Flatterflug führt in geringer Höhe meist geradeaus, wenn sich die Tiere nicht nur einfach von den Luftströmungen tragen lassen.
Viele Arten halten sich mit Vorliebe in halbdunklen Verstecken auf: unter Brücken, auf der Unterseite von Ästen und Blättern, in Borkenritzen von Bäumen. Andere wieder sind ausgesprochene Tagtiere, die bei hellem Licht umherfliegen, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist.
Die Flugzeit einer Art kann sich über 3-4 (-5) Monate erstrecken. Während des ersten Monats erscheinen vorwiegend Männchen, und während des letzten Monats findet man fast nur noch Weibchen. Wegen der auch in kalten Winterhalbjahren kontinuierlich weiterlaufenden Entwicklung weist die Flugzeit jeder Art kalendermässig fast keine Schwankungen auf.
Paarung
Im Unterschied zu den Weibchen sind die frisch geschlüpften Männchen noch nicht kopulationsfähig. Es dauert eine gewisse Zeit, bis sie voll ausgereift, insbesondere bis ihre Körperoberfläche und die Kopulationsorgane ausgehärtet sind. Die männlichen Geschlechtsorgane sind übrigens von Art zu Art so stark verschieden, dass Fehlpaarungen bei überlappenden Flugzeiten weitestgehend ausgeschlossen sind. Der artspezifische Bau dient übrigens als wichtigstes Bestimmungmerkmal.
Eine Besonderheit weisen die Männchen von Perla marginata auf. Sie neigen zur Zweigeschlechtigkeit. Das Vorkommen von Männchen mit zwittrigen Anlagen neben normal entwickelten Weibchen ist im Tierreich eine äusserst seltene Erscheinung. Nun ist es aber bei dieser Art so, dass die Weiterentwicklung der Eiröhren aufhört, sobald die Spermienbildung beginnt. Ob Perla marginata-Männchen je Eier produzieren, ist fraglich.
Für die Paarung sitzen die Tiere auf dem Boden. Eine Paarung im Flug, wie es bei den Eintagsfliegen die Regel ist, kann man bei Steinfliegen fast nie beobachten. Vor und nach dem eigentlichen Kopulationsakt „trommeln“ die Männchen einiger Arten, wie beispielsweise Dinocras cephalotes. Sie schlagen schnell aufeinanderfolgend mit dem Hinterleib auf die Unterlage, was man gut hört, wenn sie auf einem trockenen Blatt sitzen. Das Trommeln dauert einige Sekunden und wird in regelmässigen Abständen alle 5-10 Sekunden wiederholt.
Bei der Paarung selbst besteigt das Männchen den Rücken des Weibchens, biegt sein Abdomen seitlich am Hinterleib des Weibchens vorbei in die ventral gelegene Geschlechtsöffnung des Weibchens. Die Kopulationen dauern mehrere Minuten und werden mehrmals wiederholt. Sämtliche Eier werden jedoch schon bei der ersten Begattung befruchtet, so dass die weiteren Kopulationen ohne biologische Bedeutung sind.
Nach der Paarung erlischt die Lebenskraft der Steinfliegen sehr bald. Die Männchen leben etwa 1-2 Wochen. Die Flugzeit der Weibchen dauert mit 3-4 Wochen etwas länger; sie sterben aber auch bald nach Beendigung der Eiablage.
Eiablage
Einige Tage nach der Paarung treten die Eier aus. Sie bleiben an der Unterseite der Hinterleibsspitze hängen und bilden mit der Zeit eine gelbliche Kugel, die durch einen klebrigen Schleim zusammengehalten wird. Die Eizahl eines solchen Ballens schwankt je nach Art zwischen 100 und etwa 400, und die Grösse entspricht bei den Perla-Arten derjenigen einer Erbse. Die Weibchen verteilen die Eier gewöhnlich auf 2-3 Kugeln. Ein Weibchen kann einige 100 bis ungefähr 2000 Eier erzeugen.
Die Weibchen tragen ihre Eiballen mit sich herum, bis sie an eine günstige Stelle des Gewässers gelangen. Dort tauchen sie den Hinterleib ins Wasser, worauf sich die klebrige Kittmasse langsam löst, so dass die Eier einzeln zu Boden sinken. Manche Arten fliegen mit eingetauchter Abdomenspitze der Wasseroberfläche entlang, bis sich alle Eier abgelöst haben. Gewisse Nemoura- und Leuctra-Arten steigen – von einer Luftschicht umhüllt – unter Wasser, um ihre Eier abzulegen.
Eine Besonderheit weisen bestimmte Nemouriden-Eiballen auf. Ihre Kittsubstanz hat die Eigenschaft, sich bei Wasserberührung sofort und explosionsartig auf der Oberfläche zu verteilen, so dass die Eier weit voneinander entfernt auf den Boden sinken. Es sind, wie bei allen Fadentastern, einfache, rundliche, mit einer dicken Gallerthülle umgebene Gebilde, die leicht an der Unterlage festkleben. Die Eier der grossen Arten sind dagegen dickschalig und oft mit Verankerungswarzen oder -schuppen und einer pilzförmigen Ankerplatte versehen.
Bei den meisten Arten schlüpfen die Larven nach einer 3-4 Wochen dauernden Entwicklung aus den Eihüllen. Bei einigen grossen Arten, wie bei Perlodes und bei Dinocras dauert es mit 90-100 Tagen allerdings wesentlich länger. Diese Arten haben auch eine längere Larvenzeit.
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